Um in Mitteldeutschland auch nach der Wiedervereinigung die
vielfach verborgenen Schätze heben zu können, waren zunächst einmal schlicht
und ergreifend Geldmittel nötig. Die fünf Direktoren der etablierten
Einrichtungen Schütz-, Bach- und Händelhaus, Bach-Archiv und Telemannzentrum
waren allesamt Musikwissenschaftler. Die Forschung wie die Veröffentlichung der
Forschungsergebnisse, nicht nur um die drei großen Namen Schütz-Bach-Händel,
lagen ihnen am Herzen. Die Gründung der MBM 1994 trug daher zunächst einmal dem
finanziellen Aspekt Rechnung. Man wollte auch in kleineren Archiven graben,
Editionen herausgeben, Konzerte und Ausstellungen veranstalten können.
Ich arbeitete seit 1993 im Schützhaus Weißenfels, zunächst
über einen Werkvertrag, dann als ABM-Kraft, schließlich auf einer Stelle als
wissenschaftliche Mitarbeiterin. In Weißenfels war Aufbauarbeit von Grund auf
zu leisten. Als ich erfuhr, dass der junge Verein auf der Suche nach einem Ort
für den ersten „Tag der Mitteldeutschen Barockmusik“ war, nahm ich ganz rasch
Kontakt auf. Und so hat diese erfolgreiche Veranstaltungsreihe am 25. Mai 1995
tatsächlich in unserem Hause ihren Anfang genommen! Ein Festgottesdienst in der
Schlosskirche machte den Auftakt; darauf folgten ein gemeinsames Mittagessen,
die Mitgliederversammlung, eine Ausstellungseröffnung und das Festkonzert,
wiederum in der Schlosskirche, mit Musikern aus Leipzig unter der Leitung von
Gewandhausorganist Michael Schönheit. Er hatte eigens für diesen Anlass ein
Programm mit Schütz, Bach, Händel, Krieger und Telemann zusammengestellt: Alle
haben mit Weißenfels zu tun! Das war der exemplarische Beweis dafür, dass wir
ein wichtiges Zentrum der mitteldeutschen Barockmusik sind…
Damals durften wir der MBM also auf die Sprünge helfen;
mittlerweile ist sie zum Begriff geworden. Gerade die „Tage der Mitteldeutschen
Barockmusik“ lassen sichtbar werden, wie prächtig sich das zarte Pflänzchen
entwickelt hat. Das kann nur funktionieren, wenn es kulturpolitisch gewollt ist
und entsprechend unterstützt wird. Wichtige Stationen in der MBM-Geschichte
waren sicher die Schritte auf dem Weg zur Neukonzeption des
Heinrich-Schütz-Musikfestes: Seit 1998 bieten die drei Schütz-Orte Bad
Köstritz, Weißenfels und Dresden ein gemeinsames Festival. Ursprünglich hatten
Weißenfels und Bad Köstritz jeweils ihre eigenen Schütz-Tage veranstaltet. 1998
schlossen sich die beiden Heinrich-Schütz-Häuser zusammen und holten den
Dresdner Kreuzchor als dritten Partner ins Boot. Die MBM übernahm die Funktion
des Veranstalters und Förderers für dieses einzigartige länderübergereifende
Projekt. 2004 wurde die „Dresdner Hofmusik“, ein Zusammenschluss von Ensembles
für Alte Musik in Dresden, unser Kooperationspartner. Das inhaltliche Konzept
und die hohe Qualität der Veranstaltungen sorgten für ein wachsendes Renommee
der Mitteldeutschen Heinrich-Schütz-Tage. Als ungünstig für die
Außenwahrnehmung erwies sich jedoch die ortsbezogene Verteilung auf drei
separate Wochenenden. Das veranlasste uns zur Neukonzeption des Heinrich Schütz
Musikfestes im Jahr 2010.
Ein entscheidender Einschnitt war natürlich auch der Wechsel
in der Geschäftstelle von Frau Dr. Konrad zu Frau Dr. Siegfried 2009: Der
Einsicht in die Notwendigkeit solcher Dinge wie Marketing und den Umgang mit
modernen Medien konnte man sich nicht länger verschließen. Die Zeichen der Zeit
erkennend fand nun eine spürbare Neuausrichtung der Arbeitsweise statt. Einen
weiteren Umbruch brachte die Einstellung der Publikationsreihen mit sich, für
die kein Förderzweck mehr gegeben war. Doch auch da sind neue Dinge in Angriff
genommen worden.
Als Hauptverdienst der 20jährigen MBM-Geschichte empfinde
ich, dass sie wesentlich zur Bewusstwerdung dessen, was wir neben den „drei
Großen“ alles an Komponisten aufzubieten haben, beigetragen hat. Erwähnt seien
nur Johann Friedrich Fasch, Gottfried Heinrich Stölzel, Heinrich Grimm, Johann
Schelle und Melchior Franck. Vieles wurde neu ediert, aber eben auch
aufgeführt! Und dabei wurde der Blick auf das Umfeld der Entstehung gelenkt mit
einem breiten Themenspektrum von der Residenzmusik bis zur dörflich geprägten
Musikpflege. Zahlreiche kleinere Orte mit ihren Kantoreiarchiven rückten in das
Blickfeld, so auch die Sammlung der evangelischen Kirchengemeinde in
Weißenfels, deren Musikschätze wir mit Hilfe der MBM zur Aufführung bingen
konnten. In diesem Sinne müssen wir die MBM weiter zukunftsfähig machen: Wir
sollten den nun eingeschlagenen Kurs beibehalten und dabei die nächsten
Generationen im Auge behalten. Unsere Einspielungen beispielsweise gibt es
bisher auf CD, andere schlummern in Rundfunkarchiven: Wie können wir sie in das
Zeitalter neuer Medien überführen? Und es bleiben viele Neuentdeckungen zu
machen; wir müssen weiter suchen und edieren. Die grundsätzlichen Anforderungen
ändern sich nicht. Die Nachwuchsförderung bleibt ein wichtiges Thema; man
könnte etwa mit Universitäten und Musikhochschulen zusammen arbeiten. Wenn ich
an meine Studienzeit denke: In den Achtziger Jahren stand in Halle das Thema
„Mitteldeutsche Musikgeschichte“ im Vorlesungsverzeichnis, obwohl der Begriff
‚mitteldeutsch’ in der DDR negativ besetzt war. Heute stößt er mitunter im
Westen des Landes auf Unverständnis und wirft die Frage auf, ob wir denn die
Ländergrenzen nicht akzeptieren wollten. Da könnte man ein weiteres
Betätigungsfeld finden.
Für mich persönlich war natürlich die Neukonzeption des
Schütz-Musikfestes 2010 besonders wichtig: Nun bieten wir ein
Drei-Länder-Festival in kompakter Form, mit einem modernen Auftritt, der auch
einen Brückenschlag zur Neuen Musik wagt und nicht zuletzt mit Kinderkonzerten
auch neue Publikumsschichten erschließt. Damit haben wir den Anschluss an einen
internationalen Festivalstandard endgültig erreicht.
© Mitteldeutsche Barockmusik in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen e.V.