Im § 35 des Einigungsvertrages wurde unter anderem
festgelegt, dass die wichtigen kulturellen Einrichtungen Ostdeutschlands
erhalten und gefördert werden sollen. Frau Dr. Peters aus dem
Bundesinnenministerium in Bonn gehörte zu dem maßgeblichen Personenkreis, der
auf die mitteldeutsche Barockmusik aufmerksam machte und deren Förderung
vorantrieb. Aber wie und wen sollte man da fördern? Eine Vereinigung, Stiftung
oder dergleichen gab es nicht. Also setzten sich die infrage kommenden Personen
und Institutionen an einen Tisch und suchten nach Wegen. Denn es gab vorläufig
kein Gefäß, in das hinein großzügige Förderungen hätten fließen können. Also
musste man es schaffen! Einen eingetragenen Verein zu gründen lag nahe. Die
sieben notwendigen Mitglieder waren schnell gefunden, weil die Interessenlage
bei allen gleich war: Händelhaus Halle, Heinrich-Schütz-Haus Bad Köstritz, Bachhaus
Eisenach, Schütz-Archiv Dresden, Telemann-Zentrum Magdeburg, Bach-Archiv
Leipzig und Institut für Aufführungspraxis Kloster Michaelstein. Zum Terminus
„Mitteldeutschland“ bekannten wir uns gern, weil Sachsen, Sachsen-Anhalt und
Thüringen während der „Barockzeit“ nicht im Osten, sondern in der Mitte
Deutschlands lagen. Nach vielfachen und vorsichtigen Überlegungen erfolgte die
Vereinsgründung, überzeugt von der Notwendigkeit der Förderung, aber auch
erfüllt von dem Willen, vielleicht Sprachrohr und Propagandist zu werden für
jedwede aus Mitteldeutschland stammende Barockmusik. Der Gleichklang im Wollen
aller Gründungsmitglieder war beeindruckend und schön!
Der unmittelbare Anlass der Vereinsgründung war zwar
die Notwendigkeit künftiger Förderungen, aber darüber hinaus empfanden wir einen
solch relativ lockeren Zusammenschluss in einem Verein auch als eine von uns
allen dringend herbeigesehnte Chance, der mitteldeutschen Barockmusik in der
Öffentlichkeit endlich die ihr gebührende Würdigung schenken zu können. Dabei
dachten wir nicht nur an die allgemein bekannten und weltweit sehr geschätzten
Protagonisten der Barockmusik, sondern auch an Reinhard Keiser, Johann David
Heinichen, Gottfried Heinrich Stölzel, Johann Melchior Molter etc. etc., also
an die Dichte und Qualität des damaligen Musiklebens, an die vielfältigen
Entfaltungsmöglichkeiten der Musiker in Residenzen, Städten und Dörfern. Für
mich war der Ausruf eines westdeutschen Musikwissenschaftlers einprägsam, der
da staunte mit den Worten: „Was Ihr alles habt!“ Das alles aber wollten wir
einbringen in unsere deutsche Nationalkultur, denn dafür waren wir schon Jahre
zuvor eingetreten.
Anfangs ging es wohl nur um die Förderung der einschlägigen
Institutionen. Zunächst wurde eine Satzung entworfen und darin die
Zweckbestimmung verankert. Da rückten schon die vielfältigen
Entfaltungsmöglichkeiten mitteldeutscher Barockmusik ins Blickfeld. Eine
Editionskommission formulierte ihre Vorstellungen in – wie ich heute meine –
riesengroßem Umfang und ausgefeilt bis ins letzte Detail; als Beispiel seien
die „Denkmäler Mitteldeutscher Barockmusik“ genannt. Weitere Pläne wuchsen,
aber parallel dazu waren die drei beteiligten Länder noch immer damit beschäftigt,
ihren Anteil sowie die Modalitäten der finanziellen Förderung zu finden. Man
musste sich aufeinander einstellen, auch auf politischer und
verwaltungstechnischer Ebene. Minutiös wurde verhandelt über die Wertigkeit von
A-Projekten und B-Projekten. Natürlich gab es da im organisatorischen Bereich
auch Sackgassen und Rückschlage. Inzwischen waren auch Strukturen gewachsen:
Das Land Sachsen-Anhalt gewährte einer Geschäftsstelle Unterschlupf im Kloster
Michaelstein.
Vielleicht entsprachen die Ziele des Vereins
allgemeinen Erwartungen, so dass sich immer mehr Institutionen und
Privatpersonen davon angesprochen fühlten und in gleicher Weise Förder- wie
Entfaltungsmöglichkeiten erwarteten. Es lag ja inzwischen eine umfangreiche
Palette von Aktivitäten und Gedanken vor, die nicht aus dem Boden gestampft
werden musste; ich denke nur an das Jahrbuch, an die Sendereihe „Die
mitteldeutsche Kantate“ des MDR, an den jährlich stattfindenden „Tag der
Mitteldeutschen Barockmusik“ sowie an die Kongressberichte und anders mehr. Mit
der Gründung der „Ständigen Konferenz Mitteldeutsche Barockmusik in Sachsen,
Sachsen-Anhalt und Thüringen e. V.“ wurden ein inhaltlicher Rahmen sowie ein
Podium geschaffen für die Identitätspflege von Künstlern und Wissenschaftlern,
die sich diesem Thema widmen. Daraus ist ein damals nicht vorhersehbares,
fruchtbares Gedeihen von Absichten, Zielen und Ambitionen erwachsen, das nicht
nur durch den Zuspruch des Publikums bei unseren mittlerweile etablierten
Veranstaltungen, sondern auch durch das zunehmende Interesse internationaler
Wissenschaftler an unserem Tun honoriert wird. Für die deutsche Musikszene ist
die Existenz der MBM unverzichtbar geworden. Dabei konnte keiner ahnen, dass
die Gründung des Vereins derartige Folgen haben sollte. Neben der „Wiener
Klassik“ und der „Mannheimer Schule“ gehört die mitteldeutsche Barockmusik in
allen ihren Erscheinungen - auch außerhalb der bekannten Protagonisten - zu den
akzentuierten Nuancen deutschen Musiklebens. Die zwei Jahrzehnte haben auch im
internationalen Maßstab einen künstlerisch wie wissenschaftlich bedeutenden
Entfaltungsschub provoziert und beachtliche Schaffens- wie Rezeptionspotentiale
freigesetzt. Ohne das Wirken unserer „MBM“ wäre das deutsche Musikleben der
Gegenwart ärmer.
© Mitteldeutsche Barockmusik in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen e.V.